Wann soll ich zum Psychologen?

Unsplash
Psychische Störungen sind normal. Doch ab wann spricht man von einer psychischen Störung und woran merken Betroffene, dass Sie Hilfe brauchen?
Sind psychische Störungen normal?
In der Schweiz leidet jede zweite Person mindestens einmal im Leben an einer psychischen Störung. Statistisch gesehen sind psychische Störungen also normal. Es kann jeden treffen.
Ab wann spricht man von einer psychischen Störung?
Im Fachjargon spricht man von «abweichendem» Verhalten. Was bedeutet das? Wie entscheiden Therapiepersonen, was von der Norm abweicht?
Anhand von 7 Kriterien lässt sich Verhalten als abweichend einordnen:
- Leidensdruck oder Behinderung: Wer etwa sein Haus nicht mehr ohne Angst verlassen kann oder abends vor Sorge nicht mehr schlafen kann, leidet geistig und körperlich. Die eigene Handlungsfähigkeit ist eingeschränkt.
- Fehlanpassungen: Betroffene blockieren ihre eigenen Ziele, kümmern sich nicht um ihr Wohlbefinden oder werden den Bedürfnissen der Gesellschaft nicht mehr gerecht. Wer zum Beispiel regelmässig so viel trinkt, dass eine Arbeitstätigkeit am nächsten Morgen nicht mehr möglich ist, zeigt schlecht angepasstes Verhalten.
- Irrationalität: Wer etwa auf Stimmen antwortet, die in der Realität nicht existieren, verhält sich irrational.
- Unberechenbarkeit: Das eigene Verhalten kann nicht oder nur schwer kontrolliert werden. Es ist unberechenbar und sprunghaft. Wer beispielsweise ohne erkennbaren Grund eine Fensterscheibe einschlägt, verhält sich unberechenbar.
- Aussergewöhnlichkeit: Verhaltensweisen, die selten vorkommen und soziale Erwartungen oder Standards verletzen. Wer etwa wiederholt kriminelle Taten verübt, ohne Reue zu empfinden, zeigt sozial unerwünschtes Verhalten.
- Unbehagen bei Beobachtern und Beobachterinnen: Andere Menschen fühlen sich durch das Verhalten des Betroffenen in irgendeiner Form bedroht oder sind beunruhigt. Wer zum Beispiel laut schreiend durch die Strasse läuft, ruft bei anderen Unbehagen hervor.
- Moralische und gesellschaftliche Normverletzungen: Unter anderem Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, zeigen abweichendes Verhalten. Die Erwartungen sozialer Normen (wie z.B. die Sorge um das eigene Kind) werden verletzt.
Einzelne Faktoren sind noch keine Indikation für abweichendes Verhalten. Je extremer und häufiger die oben genannten Indikatoren auftreten, desto eher handelt es sich um eine psychische Störung.
Online Selbsttest
Sind Sie sich nicht sicher, ob Sie Hilfe brauchen? Online-Tests wie der von unserem Partner Klenico können Ihnen eine erste Einschätzung geben. Anhand eines Online-Fragebogens wird ihre psychische Belastung erhoben. Im Anschluss können Sie ein digitales Auswertungsgespräch mit einer psychologischen Fachperson buchen, in dem Sie direkt passende Behandlungsempfehlungen erhalten.
Selbsttest bei Klenico startenWie werden psychische Störungen klassifiziert?
Eine psychologische Diagnose gibt abweichendem Verhalten einen Namen. Beobachtete Verhaltensmuster werden in ein Diagnosesystem eingeordnet. Eine psychologische Diagnose unterscheidet sich von einer medizinischen. Ein Arzt oder eine Ärztin arbeitet viel (aber nicht nur) mit körperlichen Befunden (Röntgenaufnahmen, Bluttests, Gewebeentnahmen). Ein psychologischer Psychotherapeut oder Psychotherapeutin interpretiert vor allem (aber nicht nur) die beobachtbaren Handlungen einer Person.
Das Klassifikationssystem DSM-5 hilft der Therapieperson zu entscheiden, ob das Verhalten einer Person als Beleg für eine bestimmte psychische Störung gilt. Dort sind über 200 psychische Störungen gelistet. Für die Diagnostizierung wird das Leiden mithilfe von 5 Achsen eingeordnet. Alle psychischen, sozialen und körperlichen Symptome werden beachtet. Das ermöglicht eine ganzheitliche Diagnose.
Die fünf Achsen der Diagnose gemäss DSM-5:
1. Klinische Störungen/andere klinisch relevante Probleme
Diese Störung beinhaltet schmerzhafte oder funktionsbehindernde Symptome.
2. Persönlichkeitsstörungen/geistige Behinderung
Hier handelt es sich um nicht angemessene Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster.
3. Medizinische Krankheitsfaktoren
Körperliche Probleme und medizinische Begleitumstände, z.B. Diabetes.
4. Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme
Erfasst Stressoren, die Einfluss auf Diagnose, Behandlung und Wahrscheinlichkeit der Genesung haben, z.B. schwierige Beziehungen.
5. Globale Erfassung des Funktionsniveaus
Erfasst die Funktionsfähigkeit im psychischen, sozialen und beruflichen Umfeld.
Woran merke ich, dass ich eine Therapie benötige?
Viele Betroffene sind in der Bewältigung ihres Alltags eingeschränkt. Soziale Kontakte gehen verloren. Konzentrationsprobleme verhindern die Leistung im Job. Die Fahrt zum Supermarkt löst Angst aus. Je früher Hilfe angenommen wird, desto höher ist die Chance auf Genesung. Jede Person leidet situativ unter herausfordernden Lebensumständen. Das Leiden sollte sie jedoch nicht langfristig von einem erfüllten Leben abhalten.
Die folgenden Fragen helfen Ihnen, den Bedarf für eine Psychotherapie einzuschätzen:
- Findet Ihr Arzt oder Ihre Ärztin keine Ursache für körperliche Beschwerden?
- Haben Sie eine traumatische Erfahrung gemacht (z.B. schwere Krankheit, sexueller Missbrauch, Unfall, Umweltkatastrophe, Gewalt)?
- Macht sich Ihr Umfeld Sorgen um Sie? Wurden Sie auf Probleme angesprochen?
- Nutzen Sie Alkohol und Drogen für Ihre Problembewältigung?
- Haben Sie Probleme damit, alltägliche Aufgaben in Ihrem Leben zu bewältigen?
- Haben Sie erfolglos probiert, das Problem allein zu bewältigen?
- Leiden Ihre Beziehungen unter diesen Problemen?
- Verlieren Sie die Freude an Aktivitäten, denen Sie früher gerne nachgingen?
- Unterliegen ihre Emotionen starken Schwankungen?
Wo finde ich erste Hilfe, wenn ich eine Therapie benötige?
Lesen Sie im Artikel über Therapievermittlung, wo Sie einfach und schnell nach einem Therapieplatz suchen können. Kontaktieren Sie Ihren Hausarzt und fragen Sie ihn um Rat. Nutzen Sie kostenlose Angebote in der Schweiz. Dort können Sie sich über den Umgang mit psychischen Problemen informieren und mit einer neutralen Person sprechen.
Dureschnufe ist die Plattform für psychische Gesundheit rund um das Coronavirus. Hier finden Sie Tipps und Angebote, um Ihre psychische Gesundheit in diesen Zeiten zu pflegen.
Psy-Gesundheit fördert die psychische Gesundheit in der Romandie und im Tessin. Hier finden Sie viele Anlaufstellen. Es gibt eine Hotline für psychiatrische Notfälle in den Kantonen Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Waadt, Wallis und Tessin.
Die Psychiatrischen Dienste Aargau AG (PDAG) hat eine öffentliche Helpline eingerichtet. Dort können Sie sich melden, wenn Ihnen die Coronavirus-Pandemie im Speziellen psychische Probleme bereitet.
Reden kann retten bietet eine Plattform und Notfallhotline bei Suizidgedanken. Dort finden Sie erste Hilfe, wenn Sie selbst betroffen sind oder besorgt um eine Person in Ihrem Umfeld.
Sorgentelefon 143: bietet Beratung per Telefon, Mail und Chat, rund um die Uhr, anonym und verschwiegen, Telefonseelsorge für Krisen und Alltagsprobleme.
Wie-gehts-Dir bietet viele Adressen von professionellen Beratungsstellen in der gesamten Schweiz. Die Kampagne wird im Auftrag der Gesundheitsförderung Schweiz durchgeführt. Sie macht Mut, über psychische Beratungen zu sprechen.
Quellen
- Gerrig, R. J., Zimbardo, P. G. (2016). Psychologie (20. Auflage). Hallbergmoos: Pearson.
- *Schuler, D., Tuch, A. & Peter, C. (2020). Psychische Gesundheit in der Schweiz. Monitoring 2020. (Obsan Bericht 15/2020). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.